Die 9. Veranstaltung des IVIRMA Congress geht ihrem Ende zu. Fünf Tage lang nahmen über 1.000 Personen an diesem Event teil, das eine weltweite Referenz für Reproduktionsmedizin darstellt und wegen Covid-19 dieses Jahr zum ersten Mal als Online-Format abgehalten wurde. Neben den Sitzungen und Vorträgen von Experten aus der ganzen Welt hat man dieses Jahr zudem auf ein dynamischeres Format gesetzt, das die Interaktion und den Austausch von Ideen begünstigen sollte. So konnten die Teilnehmer beispielsweise Debatten am runden Tisch und Workshops über die jüngsten Fortschritte in der assistierten Reproduktion miterleben.
Nicht-invasive genetische Präimplantationstests: Sind wir vorbereitet?
Die Anwendung von als nicht invasiv geltenden, genetischen Präimplantationstests vor dem Embryonen-Transfer zur Erkennung möglicher Anomalien, war ein Debattenthema an einem von Herrn Dr. Nicolás Prados, Direktor des IvF-Labors von IVI, moderierten Tisch. Bei dieser Debatte analysierten die Dres. Dagan Wells und Carmen Rubio die Besonderheiten dieser Tests im Vergleich zu den üblicherweise verwendeten, invasiven Untersuchungen.
Dagan Wells, aktuell Professor an der Universität Oxford, hat 30 Jahre lang genetische Anomalien und deren frühzeitige Erkennung studiert. Derzeit leitet er zudem das Labor Juno Genetics, ein Unternehmen, das bei den in der Reproduktionsmedizin verwendeten Gentests auf dem neuesten Stand der Technik ist. Frau Dr. Carmen Rubio wiederum ist Forschungsleiterin für embryonale Genetik der Igenomix-Labore.
Notwendigkeit von Tests in der assistierten Reproduktion
Diese Tests werden häufig in der assistierten Reproduktion verwendet und wegen der Art der eingesetzten Technik als invasiv eingestuft, wie Professor Wells erklärte: „Dem Embryo wird eine kleine Zahl an Zellen entnommen, üblicherweise, wenn er fünf Tage alt ist. Diese werden mit fortschrittlichen molekularen Methoden analysiert. Die Entnahme dieser Zellen stellt ein Verfahren dar, für das eine hohe Spezialisierung erforderlich ist, d.h. es muss von einem spezifisch ausgebildeten Embryologen durchgeführt werden und bedarf zusätzlichen, kostenintensiven Equipments.“
Trotz ihrer hohen Komplexität werden die Präimplantationstests häufig angewendet, weil sie dazu beitragen, sicherzustellen, dass die Embryonen vor ihrem Transfer keine chromosomalen Anomalien aufweisen. Herr Professor Wells erläuterte, worin diese Anomalien bestehen können: „Die nach der In-vitro-Fertilisation gewonnenen Embryonen können ein doppeltes Chromosom aufweisen oder es kann eines fehlen – dies ist unter dem Begriff „Aneuploidie“ bekannt. Wenn bei einer Fertilitätsbehandlung ein chromosomal anormaler Embryo transferiert wird, also ein aneuploider Embryo, wird er sich in den meisten Fällen nicht einnisten oder eine Fehlgeburt auslösen. Daher ist es ratsam, solche chromosomal anormalen Embryonen bereits im Vorfeld präzise zu entdecken.“
Alternativen zu den invasiven Tests
Das Problem liegt darin, dass nicht alle Labore über qualifiziertes Personal, die Technologie oder das erforderliche Equipment für diese Tests verfügen, was den Patienten den Zugang zu diesen Tests erschwert und sie verteuert. Das ist es, was Professor Wells als „Flaschenhals“ bezeichnet.
Aus diesem Grund entstanden die weniger invasiven Tests als Alternative, die durchgeführt werden, ohne dem Embryo Zellen entnehmen zu müssen. Stattdessen wird ein kleiner Anteil an Genmaterial analysiert, der aus den Zellen in das Medium austritt, in dem sich der Embryo entwickelt.
Herr Professor Wells stellte bei dieser Lösung zahlreiche Vorteile fest: “Dadurch wird jegliches, mit der Entnahme der Zellen assoziierte Risiko für den Embryo ausgeschlossen und die Kosten des Verfahrens verringern sich, weil die Kliniken keinen hochspezialisierten Embryologen bezahlen und auch nicht über das notwendige, teure Equipment verfügen müssen“.
Sind nicht-invasive Tests genau genug?
Allerdings erklärte Dagan Wells am Debattiertisch des 9. IVIRMA Congress, dass die mit den nicht-invasiven Tests erzielte Genauigkeit noch nicht das wünschenswerte Niveau erreicht hat. „Es treten zu viele falsch-positive Ergebnisse auf, d.h. Embryonen, die als anormal klassifiziert werden, obwohl sie in Wirklichkeit keine genetische Anomalie aufweisen. Es gibt auch falsch-negative Fälle, bei denen der Embryo eine Anomalie hat, aber fälschlich so klassifiziert wird, als ob sie nicht vorhanden wäre“.
Aus diesen Gründen plädiert Wells derzeit noch für den Einsatz der invasiven Tests, obwohl deren Alternative eine “vielversprechende Zukunft” haben und eine “sehr spannende Möglichkeit” darstellen. „Dadurch wird jegliches, mit der Entnahme von Zellen verbundene Risiko für den Embryo beseitigt und die Verfahrenskosten gesenkt, weil die Kliniken weder einen spezialisierten Embryologen bezahlen, noch über das notwendige, kostenintensive Equipment verfügen müssen“, fügte er hinzu.
Dennoch, betonte er, seien diese Tests derzeit noch nicht für ihren Einsatz in den Kliniken gebrauchsbereit, so dass die herkömmlichen, die die aus dem Embryo entnommenen Zellen analysieren, zuverlässiger wären. Tatsächlich kommt es bei den Ergebnissen der nicht-invasiven Tests so häufig zu Fehlern, dass man es für notwendig hält, diese anhand einer Überprüfung durch invasive Tests zu ergänzen, „was dem ursprünglichen Gedanken der Durchführung nicht-invasiver Tests zuwiderläuft“.
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