Die Zahl reproduktionsmedizinischer Behandlungen steigt weiter und weiter. Sich den Kinderwunsch mithilfe medizinischer Unterstützung zu erfüllen, ist heutzutage ein gesellschaftlich geläufiges und vielfach genutztes Verfahren. Trotz der öffentlichen Präsenz halten viele Paare ihren unerfüllten Kinderwunsch geheim. Ein Tabuthema, dass eine Partnerschaft oft auf eine harte Probe stellt. Reproduktionsmedizin muss demzufolge weit über die technischen Methoden der Kinderwunschbehandlung hinausgehen. Die psychologische Unterstützung bei der Beziehungsarbeit ist eine sehr wichtige Begleitung der Patient*innen während des Prozesses der Kinderwunschbehandlung. Wie können die Psychologen dabei helfen, dass ein Paar Wege findet, gemeinsam eine möglicherweise jahrelange, unerwünschte Unfruchtbarkeit hinter sich zu lassen und Mut und Kraft findet, sich weiteren Behandlungen zu unterziehen, bislang nicht gedachte Methoden in Erwägung zu ziehen oder einen alternativen Lebensweg zu wählen?
Für diesen Blog stand uns Dr. Diana Santa Cruz, Psychologin am Kinderwunschzentrum IVI Madrid, Rede und Antwort. Die psychologische Unterstützung, individuell auf jeden Behandlungsfall abgestimmt, gehört zu den tragenden Säulen der Arbeit der IVI-Kinderwunschkliniken.
Wie kann man Paaren Mut zusprechen, die seit Jahren erfolglos versuchen, ein Kind zu bekommen?
Dr. Diana Santa Cruz: Wir versuchen die Patient*innen zu ermutigen, indem wir ihnen sagen, dass der schwierigste Schritt getan ist, wenn man akzeptiert hat, dass etwas nicht normal verläuft, und den Schluss daraus zieht, sich einer speziellen Behandlung zu unterziehen. Nach einer Kinderwunschbehandlung werden fast 90% der Frauen schwanger. Es ist also von großer Wichtigkeit, dass man dem medizinischen Personal und den reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten vertraut und sich in Geduld übt. Damit die Gedanken nicht beständig um den Kinderwunsch, die befürchtete Unfruchtbarkeit oder den Behandlungsprozess kreisen, muss man sich um Ablenkung bemühen. Dies gelingt, indem man es sich gut gehen lässt und Aktivitäten betreibt, die Spaß machen und die beide Partner genießen können.
Welche Probleme ergeben sich für Frau und Mann aus der Tatsache, dass sie sich für unfruchtbar halten? Mit welchen Gedanken schlagen sie sich herum?
Die häufigsten psychologischen Probleme aufgrund jahrelanger vergeblicher Versuche sind Angstzustände und Depression. Oft entstehen daraus Konflikte zwischen den Partnern, denn jeder einzelne erlebt die Unfähigkeit, ein Kind zu zeugen oder zu empfangen, unterschiedlich. Die Patient*innen stecken in vielen Fällen voller Schuldgefühle und Gedanken der Verzweiflung treten auf: „Das schaffe ich nie“, „Nie werde ich Mama/Papa sein“, „Wir taugen dafür nicht“, „Ich schaffe es nicht, meinem Partner ein Kind zu schenken“ oder „Ich fühle mich verantwortlich dafür, dass wir keine Eltern werden können“.
Drei Fragen zum Mann:
Ist maskuline Sterilität immer noch ein Tabuthema?
Ja, maskuline Unfruchtbarkeit ist nach wie vor ein großes Tabu. Viele Männer verheimlichen den Misserfolg aus Angst vor der emotionalen und auch kulturellen Reaktion, die ein ehrlicher Umgang mit diesem Thema mit sich führen könnte.
Ist denn die männliche Sterilität immer noch mit der gesellschaftlichen Frage, was als männlich empfunden wird, verbunden?
Daran besteht kein Zweifel. Wir sprechen hier von einer Gesellschaftskultur mit langer Tradition (Fruchtbarkeit und Männlichkeit, „ein richtiger Mann sein“), der wir immer noch tief verhaftet sind und die demzufolge Konsequenzen auf die Gefühle der Patienten haben.
Wie kann man einem Mann mit großem Schamgefühl von der Idee für den ersten Schritt, die Analyse der Qualität, Menge und Beweglichkeit seiner Spermien (die Anfertigung eines Spermiogramms), überzeugen?
Unsere Aufgabe ist es, gegen bestehende Vorurteile anzukämpfen und ihre Sinnlosigkeit herauszustellen. Wir arbeiten daran, die kognitiven Verdrehungen und irrationalen Gedanken zu durchbrechen, die es verhindern, dass man Fruchtbarkeit und Männlichkeit getrennt voneinander betrachten kann.
Kommt es häufig vor, dass der Druck des einen (vermeintlich fruchtbaren) Partners auf den anderen sich negativ auf die Kinderwunschbehandlung auswirkt?
Es kommt tatsächlich vielfach vor, dass das Ausüben von Druck des einen Partners negative Folgen für den anderen hat. Wichtig ist, dass alle Entscheidungen gemeinsam getroffen werden. Die Partner sind zu gleichen Teilen in den Prozess involviert, denn die Behandlungen sind auf emotionalem Niveau belastend. Wenn das nicht so ist, man also eher den Eindruck hat, diese Behandlung würde man nur für den anderen machen, entsteht daraus eine Überbelastung, die in gefühlsgeladenen Vorwürfen mündet, die wiederum in der Folge zu ernsthaften Beziehungsproblemen führen können.
Was empfehlen sie den Paaren zur Stärkung ihrer Beziehung und um zu vermeiden, dass sie an dieser Lebensphase scheitern?
Wir raten dazu, die anderen Bereiche und Fähigkeiten der Beziehung zu stärken. Zum teils langwierigen und nervenaufreibenden Prozess der Klärung und Überwindung der Unfruchtbarkeit müssen die weiteren Säulen der Partnerschaft einen Ausgleich schaffen. Das Paar sollte erfreuliche gemeinsame Momente finden, die den starken emotionalen Eindruck, den die Kinderwunschbehandlung ausübt, auffangen können. Die sexuelle Beziehung und Gelegenheiten zum intimen Zusammensein sollten bewusst gepflegt werden.
Trotz der sehr hohen Prozentzahl an Paaren, die eine Kinderwunschbehandlung mit einer erfolgreichen Schwangerschaft und der Geburt ihres Kindes krönen können, verbleibt einigen dieser große Traum verwehrt. Wie kann man den Misserfolg psychologisch verwinden?
Das beginnt damit, dass man nicht von einem Misserfolg spricht, sondern man sich sagt, dass es einfach nicht sein sollte. Dem Verlust muss Raum und Zeit eingeräumt werden: „Was ich wollte, habe ich nicht bekommen, aber ich muss lernen, damit zu leben.“ Wie bei jedem anderen Kampf, wird es für das Paar möglich sein, trotz des Verlustes weiterzuleben. Das Paar muss zur Überzeugung gelangen, dass ein Leben ohne Kinder auch eine gute Alternative sein kann, ohne dass es sich um ein Leben „zweiter Klasse“ handelt. Wir arbeiten mit den Paaren an der Stärkung ihrer Beziehung, damit sie beginnen können, ein neues gemeinsames Leben zu genießen.
Empfiehlt es sich, vor oder während einer Kinderwunschbehandlung die Unterstützung Außenstehender zu suchen, Familienangehörigen, Freunden, Spezialisten, Foren Gleichgesinnter etc., selbst wenn sich das Paar in einer starken Beziehung sieht und gut miteinander kommuniziert?
Im Prinzip schon, aber die Auswahl dabei ist nicht wahllos. Es ist ebenso wichtig, sich auf ein gutes soziales Netzwerk berufen zu können, wie auszuwählen, wer denn wirklich als unterstützende Quelle in einem bestimmten Moment in Frage kommt. Eine anspruchsvolle, auf Vertrauen beruhende Wahl vermeidet, dass sich die externe Hilfe in einen weiteren Stressfaktor verwandelt.
Welche Aktivitäten sollte ein Paar gemeinsam unternehmen?
Wir empfehlen je nach Möglichkeiten und Interessen gemeinsame Freizeitaktivitäten mit einem hohen Entspannungsfaktor: gemeinsame Ferien, Reisen, Kino- und Restaurantbesuche, gemeinsames Kochen, sportliche Aktivitäten, das Beibehalten von Sex, eine ausgewogene Ernährung (ohne ins Extreme zu verfallen), Ausgehen mit Freunden. Man sollte immer versuchen, auch in anstrengenden Phasen, freudige und genussvolle Momente zu finden.
IVI erzielt im internationalen Vergleich eine der höchsten Erfolgsraten beim Erlangen einer Schwangerschaft durch Kinderwunschbehandlung. 9 von 10 Paaren können wir dabei unterstützen, Eltern zu werden. Unser Erfolg ist Ergebnis der Verquickung von innovativer Forschung und Lehre (die IVI-Stiftung), der Anwendung der Ergebnisse mit hochmoderner Technologie sowie der individuellen Betreuung, medizinisch und psychologisch, eines jeden Patientenfalls.
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