Die meisten von uns kennen ihn leider nur zu gut: Stress. Bestimmte Situationen, Personen oder auch bestimmte Einstellungen können Ursache dafür sein: ein stetig überforderndes Arbeitspensum, Arbeitslosigkeit, Trauer, Trennung, ein kontinuierlich hoher Geräuschpegel oder auch ungewollte Kinderlosigkeit. Diese langanhaltende Überforderung kann sich auch körperlich manifestieren und mit Magenproblemen, Herzerkrankungen, Rückenschmerzen oder Unfruchtbarkeit einhergehen. Frauen, für die es schwierig ist, eine Schwangerschaft zu erzielen, wird angeraten, sich von ihrem großen Herzenswunsch nicht verrückt machen zu lassen. Das ist leider leichter gesagt, als getan. Es bedarf Hilfe!
Es ist nicht der Stress allein
Wissenschaftliche Studien konnten bislang den Zusammenhang zwischen Stress und Unfruchtbarkeit nicht eindeutig klären. Stress kann bei manchen Frauen physische Beeinträchtigungen wie Amenorrhoe (das Ausbleiben der Regelblutung) auslösen und damit zur Unfruchtbarkeit führen, andere Frauen in vergleichbaren Situationen bleiben von diesen Einschränkungen jedoch völlig unberührt. Es gibt Frauen, die trotz großer Stresssituationen schwanger werden. Das Empfinden von und der Umgang mit Stress sind von Person zu Person und von Körper zu Körper verschieden. Bei IVI messen wir der Psyche einer Kinderwunschpatientin große Bedeutung bei und unterstützen beim Aufbau von Kontrollmechanismen, die das Stressempfinden senken können.
Es ist ratsam, behutsam mit dem Thema Stress umzugehen. Das Schuldgefühl, das viele Frauen in einer Kinderwunschbehandlung empfinden, ist sehr hoch und es erweist sich als kontraproduktiv, weitere Spannung durch den Gedanken an Stress aufzubauen. Er muss ernst genommen, jedoch nicht dramatisiert werden. Viele Patientinnen sind es leid, von Freunden und Familienangehörigen immer wieder zu hören, dass sie sich von ihrem unerfüllten Kinderwunsch nicht verrückt machen lassen dürfen. Was sie tatsächlich benötigen, ist eine Unterstützung um zu lernen, mit ihren Empfindungen klarzukommen und diese zu überwinden.
Historisch gesehen: Warum kann der Kinderwunsch so stressig werden?
Allgemein gesprochen rührt die Angst der Frauen, keine Kinder bekommen zu können, von Erwartungen, die seit ihrer Kindheit geschürt wurden und von denen sie glauben, sie nicht erfüllen zu können. Der soziale Druck, ihre Rolle als Mutter einzunehmen. Von jeher besteht die Aufgabe der Frau in der Erziehung und Ausbildung des Nachwuchses. Diese Rolle war entscheidend für das Fortdauern der menschlichen Spezies, die Frau „schenkt Leben“ und ist der wichtigste und aktivste Akteur im Evolutionsprozess. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass sich die unfruchtbare Frau nicht fähig sieht, diese so wichtige soziale Funktion zu erfüllen. Aus diesem irreführenden Denken rührt die Angst – eine Reaktion auf die „Bedrohung“-, nicht Mutter sein zu können. Diese Ängste haben sich heutzutage gewandelt. Die Frauen nehmen längst an diversen Lebens- und Wirkungsbereichen teil und sehen sich nicht ausschließlich in der Mutterrolle. Der Kinderwunsch besteht nach wie vor, aber er wird rationaler angegangen als in der Vergangenheit. Ängste gibt es nach wie vor, der Umgang mit ihnen ist heute aber ein anderer.
Gefühle der Kinderwunschpatientinnen ernst nehmen
Frauen, die während einer Kinderwunschbehandlung keine psychologische Betreuung erhalten, brechen die Behandlung im Durchschnitt häufiger ab oder unternehmen keinen weiteren Versuch der In-vitro-Fertilisation. Für IVI ist gerade die Einheit aus individueller, psychologischer und medizinischer Betreuung der Schlüssel zum Erfolg, der Grund für eine der im internationalen Vergleich höchsten Schwangerschaftsraten durch reproduktionsmedizinische Techniken. Unsere Patientinnen werden bei diesem teils langen und mitunter nervenaufreibenden Weg von uns emotional begleitet und gestärkt.
Das Schuldgefühl ist das vorherrschende Empfinden von Kinderwunschpatientinnen und die Hauptkomponente ihres Stressempfindens. Viele Frauen, die eine Behandlung bei IVI durchlaufen, kommen mit dem zermürbenden Gefühl in das Kinderwunschzentrum, dass sie aufgrund einer scheinbaren höheren Gerechtigkeit (weil sie in der Vergangenheit vielleicht schlechte Lebensgewohnheiten hatten oder bereits eine Abtreibung vorgenommen haben etc.) nicht schwanger werden können. Wichtig ist zu begreifen, dass die Natur keine Gerechtigkeit kennt. Die Patientinnen müssen lernen, die Wirklichkeit zu akzeptieren, und zwar auf positive Weise. Dadurch wird der Weg zum Beschreiten alternativer Wege eröffnet.
Für viele Patientinnen bedeutet die Eizellspende zunächst eine Behandlungsmethode mit erhöhtem Stresspotential. Grund dafür ist die Unsicherheit bezüglich des unbekannten genetischen Materials. Gleichzeitig gehört diese Methode bei IVI jedoch auch zu den nachgefragtesten Verfahren. Eine Eizellspende ist für viele Frauen die einzige Möglichkeit, eine Schwangerschaft zu erzielen (z.B. aufgrund des fortgeschrittenen Alters oder weil krankheitsbedingt die Eierstöcke entfernt werden mussten). Zudem ist die Spende weiblicher Gameten ein Prozess, der sich tiefgründigen Untersuchungen und Kontrollen unterzieht, um gesunde Embryonen transferieren zu können. Wir reduzieren diese anfänglichen Ängste der Patientinnen, in dem wir sie so umfassend wie möglich über den Prozess und die hohen Anforderungen an Eizellspenderinnen informieren und ihre Bedenken ernst nehmen.
Verschwindet der Stress, nachdem eine Schwangerschaft erreicht wurde?
Im Allgemeinen lösen sich die Stresssymptome nach einer erfolgreichen Kinderwunschbehandlung auf. Bei Patientinnen mit psychiatrischer Vorgeschichte können sie sich fortsetzen, aber in der Regel mindert die Erfüllung des sehnlichen Wunsches den Stress deutlich. Frauen, die bereits mehrere Fehlgeburten hinter sich haben, fühlen sich während der ersten fünf Monate der Schwangerschaft meistens unter großem Stress aus Angst, das Baby erneut zu verlieren. Mit unserer emotionalen Unterstützung können jedoch auch diese Patientinnen lernen, den Stress Stück für Stück zu mindern.
Techniken, um den Stress zu meistern
In Kinderwunschkliniken führen die Psychologen zu 99% eine kognitive Verhaltenstherapie durch, die kürzer ist als eine möglicherweise Jahre dauernde Psychoanalyse und sich ganz auf die Wirklichkeit des Augenblicks konzentriert.
Techniken der Verhaltenstherapie sind u.a.:
- Das Erlernen von Selbstkontrolle (um Hilfe bitte, Hilfe annehmen). Eine wichtige Anmerkung hierzu: Selbstkontrolle bedeutet nicht die Unterdrückung von Gefühlen.
- Körperliche Aktivität (z.B. bewusste Atmung, Yoga, Akupunktur)
- Techniken um bestimmte Gedanken zu stoppen (z.B. die Annahme, bist du keine Mutter, bist du nichts; Schuldgefühle aufgrund des fortgeschrittenen Alters)
- Auseinandersetzung mit irreführenden Gedankengängen
Dieser Blogeintrag beruht auf einem Gespräch mit der Psychologin Pilar Dolz vom Kinderwunschzentrum IVI Valencia (Leiterin der Einheit für emotionale Unterstützung), die hiermit einen wertvollen Einblick in ihren Arbeitsbereich und die Bedeutung der psychologischen Betreuung von Kinderwunschbehandlungen vermittelt hat.
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